Nothing is simple in Syria

17.02.2012
Betrachtet man die Entwicklung in Syrien und unsere Sicht darauf, überrascht immer wieder mit welcher Unverfrorenheit zwei Dinge gleichzeitig berichtet werden:

• Auf der einen Seite schießt die syrische Armee immer auf unbewaffnete Zivilisten
• Auf der anderen Seite wird triumphierend von den Erfolgen der "Freien Syrischen Armee" und der bewaffneten Aufständischen berichtet.

Zweifellos gebührt Al Jazeera das Verdienst, diesen Widerspruch auf die Spitze getrieben zu haben: Bringen sie doch beide Sichtweisen in nur einem Satz unter (s.u.)

Wer glaubt, die syrische Opposition habe immer nur mit friedlichen Mitteln versucht, den Sturz des Systems zu erreichen, macht sich wohl selbst etwas vor. Angesichts anderer Proteste in der Region oder auch in Griechenland oder England oder den Banlieus der französischen Städte war diese Sicht von vornherein unglaubwürdig und nur der Versuch, eine internationale Marke aufzubauen

Natürlich gab und gibt es friedliche Proteste in Syrien. Und ebenso gewiss gab und gibt es Versuche von Sicherheitskräften, auch friedliche Proteste gewaltsam zu unterbinden

Und wie man aus den unten stehenden Zitaten ersehen kann, gab es von Anfang an und immer weiter verbreitet Bewaffnete, die gegen die syrischen Sicherheitskräfte kämpften. Man mag das für berechtigt halten: dann kann man aber nicht davon reden, das das System immer und ausschließlich unbewaffnete Demonstranten erschieße.

So wie die 'Massenvernichtungswaffen' des Irak eine erfundene Marke waren, um den Krieg gegen Irak zu begründen, so ist auch die Mär von den immer unbewaffneten Zivilisten, die von der syrischen Armee erschossen werden, eine internationale Marke, um der Öffentlichkeit den Krieg gegen Syrien zu verkaufen.

Syrien steht nicht erst plötzlich seit dem Ende der Beobachtermission der arabischen Liga vor dem Abgrund eines Bürgerkriegs. Dieser Bürgerkrieg entwickelt sich seit einem Jahr - mit kräftiger Unterstützung von aussen.

Und gerade jetzt berichtet das Schweizer Radio DRS1 über den Zustrom von bewaffneten Extremisten nach Homs - schon im Juli 2011.

Einige Beispiele:

26. April 2011, Joshua Landis
"In Banyas wurden 9 Soldaten von bewaffneten Oppositionellen erschossen, als sie auf der Hauptzufahrtsstraße in die Stadt fuhren. In Jable, haben sich Demonstranten mit Knüppeln und anderem bewaffnet. Auch wenn das gegen Feuerwaffen nichts ausrichtet, zeigt es, welche Stimmung in der Menge herrscht, die der Gewalt des Systems mit ihrer eigenen Gewalt begegnen will."
http://www.joshualandis.com/blog/?p=9383
Joshua Landis ist ein ausgewiesener Kenner der Situation in Syrien der sich auf viele Kontakte nach Syrien stützt

05.05.2011, The Christian Post
"Christliche Gemeinden in ganz Syrien wurden von Regierungsgegnern in den vergangenen Wochen angegriffen.
International Christian Concern berichtet, dass Proteste von extremen Islamisten angeführt werden und dass Christen unter Druck gesetzt wurden, entweder sich an den Protesten zu beteiligen oder das Land zu verlassen. Augenzeugen haben gesehen, dass ungefähr 20 Maskierte auf Motorrädern ein Haus in einer christlichen Gemeinde außerhalb von Daraa angegriffen haben."
http://www.christianpost.com/news/christians-under-attack-from-anti-government-protestors-in-syria-50104

22.05.2011, Time Magazin
"Mit der Eskalation der Unruhen in Syrien blüht das Geschäft der libanesischen Waffenhändler
'Die Waffen gehen rasend weg', sagt Abu Rida (ein libanesischer Waffenhändler), 'und alles geht nach Syrien. Alles.' Und er fügte hinzu, dass auch Waffen aus dem Irak nach Syrien geschmuggelt werden."
http://www.time.com/time/world/article/0,8599,2073315,00.html

13.06.2011, Time Magazin
"In Jisr al-Shoughour, haben wir uns entschlossen, das Volk zu verteidigen. Aber wir hatten nur leichte Waffen, Gewehre. Sie hatten Panzer. Wir haben Fallen gestellt, Hinterhalte gelegt. Das hat uns Zeit gegeben, Zivilisten zu evakuieren."
http://www.time.com/time/world/article/0,8599,2077348,00.html in einem Bericht über Deserteure

01.07.2011, Scham News
Scham News ist eines der Mediencenter, deren Ziel der Sturz der syrischen Regierung ist. Um den Mythos der unbewaffneten Demonstranten aufrecht zu erhalten, macht sich Scham News in einem Beitrag lustig und beschreibt eine der Waffen, die von Demonstranten eingesetzt wird, nämlich eine Zwille. Tatsächlich sieht man gelegentlich auch oppositionelle Videos, auf denen Demonstranten Zwillen gegen Sicherheitskräfte einsetzen. Allerdings sind Zwillen nicht so lustig, wie in dem Video dargestellt. Wikipedia schreibt über Zwillen: ' Mit einiger Übung wird die Zwille zu einer zielsicheren und vor allem sehr gefährlichen Waffe, mit der weitaus schwerere Verletzungen hervorgerufen werden als mit Luftgewehren.'
http://www.youtube.com/watch?v=1rSt7wHvMfg

02.07.2011, Irish Times
"Die Protestbewegung vertreitete sich. Anders als der Aufstand in Ägypten, waren die Proteste nicht friedlich. Büros der Baath-Partei und Polizeiposten wurden in Brand gesetzt, Statuen, Banken und Geldautomaten vandalisiert… Seltsame bewaffnete Elemente tauchten auf und die Syrische Moslembruderschaft nutzte die Unruhe aus, um die Regierung und die Sicherheitskräfte auch physisch anzugreifen. Die Moslembruderschaft, die 1982 in Hama besiegt wurde, ist entschlossen, Rache zu üben. Waffen wurden aus dem Irak, Libanon und Jordanien nach Syrien geschmuggelt… "
http://www.irishtimes.com/newspaper/opinion/2011/0702/1224299933137.html

26.08.2011, Washington Post
"Aktivisten, die vor kurzem Homs besucht haben, sagen, das die Protestierenden begonnen haben Kalaschnikows zu tragen, um sich gegen Angriffe der Regierung zu verteidigen. Auf Youtube sind Videos erschienen, die zeigen, wie Molotovcocktails hergestellt werden. "
http://www.washingtonpost.com/world/middle-east/calls-in-syria-for-weapons-nato-intervention/2011/08/26/gIQA3WAslJ_story_1.html

23.09.2011, Al Jazeera
"Zuvor, am 25.08 traf ich mich mit einem hochgestellten Oppositionsführer in Harasta, einem großen Vorort von Damaskus und einer Hochburg der Protesbewegung. Die Regierung war dort hart gegen die Protestbewegung vorgegangen obwohl die bewaffnete Opposition in der Lage war, zahlreiche Mitglieder der Sicherheitskräfte zu töten."
http://www.aljazeera.com/indepth/features/2011/09/2011923115735281764.html

08.10.2011, Los Angeles Times
"Kürzlich jedoch sind bewaffnete Auseinandersetzungen als weitere Facette im Kampf (gegen das Regime) aufgetaucht, die die Aussicht auf weitere militärische Konflikte aufscheinen lassen.
Eine Gruppe, die sich selbst als Deserteure beschreibt, und Kräfte der Regierung haben sich in der Stadt Rastan eine Woche lang bewaffnete Kämpfe geliefert, was zu einigen Dutzend Toten und tausenden Verhafteten geführt hat, wie Regime-Gegner sagen."
http://articles.latimes.com/2011/oct/08/world/la-fg-syria-violence-20111009

25.11.2011, Daily Telegraph
"Von Ruth Sherlock, in Misurata
… auf dem Meeting, das in Istanbul stattfand und an dem Türkische Offizielle teilnahmen, forderte die syrische Seite 'Unterstützung' von den Vertretern Libyens und es wurde ihr Waffen und unter Umständen libysche Freiwillige angeboten. 'Es ist etwas geplant, um Waffen und sogar Kämpfer nach Syrien zu schicken', sagte einLibyer, der ungenannt bleiben wollte. 'Eine militärische Intervention wird vorbereitet. In einigen Wochen werden sie es sehen…'"
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/8917265/Libyas-new-rulers-offer-weapons-to-Syrian-rebels.html

11.12.2011, The Guardian
"In Syrien: Die Aufständischen rufen nach Waffen und Munition
Die syrischen Aufständischen suchen Waffen um jeden Preis. Ghaith Abdul-Ahad meint, dass Waffenhändler ein unglaubliches Geschäft machen mit Waffen und Munition."
http://www.guardian.co.uk/world/2011/dec/11/inside-syria-rebels-call-arms

Tatsächlich gab es ein Kontinuum der Gewalt - auch von Seiten der Demonstranten und das von Anfang an. Wenn Josh Landis - auch kein Freund von Assad - schon Ende April davon berichtet, dass bewaffnete Oppositionelle einfach so 9 Soldaten des Regimes töten konnten, zeugt das davon, dass schon damals ein beträchtliches Maß an Bewaffnung und Organisation auf Seiten der Opposition vorhanden war.

In dem Bericht der Christian Post hieß es dass:" 20 Maskierte auf Motorrädern ein Haus in einer christlichen Gemeinde außerhalb von Daraa angegriffen haben..." Das ist eine Darstellung, die ich auch von Freunden schon im Sommer 2011 über die Situation in Homs erhalten habe: Bewaffnete auf Motorrädern, die die Bevölkerung terrorisieren.

Nein: Immer nur friedliche Demonstranten die von den Schergen des blutigen Regimes ermordet werden: das ist kein reales Bild.

Man möchte sich wünschen, dass der Bürgerkrieg in Syrien vermieden werden kann; damit reale Menschen gleichgültig von welcher Seite wegen realer Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können - statt reale und virtuelle Verbrechen aufzutürmen und ausschliesslich eine Seite dafür verantwortlich zu machen.